Bode freut sich, die Eröffnung der umfangreichen Gruppenausstellung Material Tales: Gestures of Abstraction ankündigen zu können. Die Ausstellung erzählt von Abstraktion, indem sie Material, Form und Gestik sprechen lässt. Mit Arbeiten von Taqwa Ali, Kim Bartelt, Tonia Calderon, Elke Foltz, Naomi Lisiki, Senzeni Marasela und Georgina Maxim versammelt sie verschiedene Geschichten und Perspektiven abstrakter Bildsprachen.
Abstrakte Kunst, die in den 1940er Jahren vornehmlich in den USA und Frankreich aus der Suche nach einer Formensprache, die den künstlerischen Akt in sich selbst betont entstand, ist heute fester Bestandteil künstlerischen Ausdrucks. Bildhafte Darstellungen und malerische Grundsätze wichen offenen Bildprozessen und unmittelbarem, individuellem Ausdruck. Ohne Hierarchien der Formen und Zugänge wurde die Selbsterfahrung der Betrachtenden integrativer Teil des Werks.
Material Tales: Gestures of Abstraction präsentiert eine rein weibliche Konstellation solcher abstrakter Positionen zeitgenössischer Künstlerinnen. Im Zentrum steht eine materialbezogene Erforschung abstrakter Bildsprache. In den gezeigten Arbeiten werden dabei ebenso Themen alltäglicher Erfahrungen und Wahrnehmungen verhandelt, wie auch Auseinandersetzungen mit der Vergänglichkeit von Zeit und Materie und individuellen und kollektiven Erinnerungsräumen an Herkunft und Zugehörigkeit.
Von tiefen Rottönen getragen, changieren Naomi Lisikis Arbeiten zwischen ganzen Bildwelten und ausschnitthaften, fast ornamentalen Strukturen. Die größere der beiden gezeigten Arbeiten, ‚Land of the Sun‘, entfaltet dabei eine besondere Anziehungskraft: Man möchte ihr näherkommen, um zu erkennen, ob sich in ihr ein dichter Urwald, eine mystische Fantasielandschaft oder vielmehr die innere Gefühlswelt der Künstlerin verbirgt. Kurze, dynamisch gesetzte Pinselstriche lassen Flora und Baumformen erahnen, könnten jedoch, wie es der Abstraktion eigen ist, ebenso vollkommen losgelöst von jedem realen Vorbild existieren.
Organisch-florale Formen ziehen sich auch über die Leinwände von Elke Foltz und strecken sich regelrecht in die Länge. Fast wie in einem Zustand der Transformation, in kontinuierlicher Bewegung, spiegelt sich eine solche Prozesshaftigkeit auch in Foltzs Umgang mit der Leinwand selbst wieder: Mal dient sie als vollständig kolorierter Hintergrund, mal bleibt sie weitgehend unbearbeitet und dennoch integraler Bestandteil des Bildes. Das fortwährende Ausloten der Eigenschaften ihrer Materialien, Techniken und Werkzeuge manifestiert sich schließlich in feinen Akzenten, die Foltz aus Papier oder Leinwand auf ihre Werke collagiert.
Mit Georgina Maxims Arbeiten öffnet die Ausstellung über Leinwandmalerei hinaus in neue Materialwelten. Maxims Textilarbeiten sind zwischen den abstrakt-organischen, von Naturformen inspirierten Malereien positioniert. Sie lenken die Aufmerksamkeit vom äußeren Erfahrungsraum weg, dichter an das Individuum heran und verweben Stofflichkeit mit biografischen Erfahrungen. Die beiden weiterverarbeiteten Kleidungsstücke wecken Erinnerungen an dadaistische Konzeptkunst und Ready-mades. Ihre ursprüngliche Funktion ist jedoch abstrahiert und was einst alltägliche Kleidung war, wird durch Naht, Schnitt und Stickerei zum Träger persönlicher wie kollektiver Erzählungen.
Taqwa Alis großformatiges Triptychon führt nicht nur im Galerieraum, sondern auch in der Auseinandersetzung mit Material weiter in den breit gefächerten Referenzrahmen der Abstraktion. Auf Holztafeln lösen sich Farben und Formen zu organischen Sphären und Schichten auf; die Definierbarkeit von Form und Figur weicht intuitiv wabernden Feldern, die sich auf der ausladenden Fläche in einem tänzelnden Schleichgang auszubreiten scheinen. So natürlich wie diese Bewegungen auf der Bildoberfläche wirken, sind auch die technischen Komponenten, mit denen die Künstlerin arbeitet: Emulsionen aus Erde, Hibiskusblüten und Hautleim werden auf die Holzpaneele aufgetragen und anschließend mit archivierendem Schutzspray versiegelt.
Als wären die Nebelschwaden aus Alis Bild heraus in den Ausstellungsraum gewabert, erwecken Tonia Calderons Arbeiten den Eindruck, als seien sie an ihrer Oberfläche zerschellt. Die Kompositionen der beiden in der Ausstellung gezeigten Werke leben von Farbverläufen, vom Kontrast zwischen Hell und Dunkel und zwischen flach und reliefartig. Auch hier wird die Bildoberfläche selbst zum Feld der Abstraktion: Statt eines glatten Farbauftrags haftet den Arbeiten etwas Unplanbares, Unvorhersehbares an. Ein Zusammenspiel von bewusst und unbewusst, beabsichtigt und unbeabsichtigt, macht ihre prozessorhafte Entstehung sichtbar.
Eine andere Form der Haptik prägt Kims Bartelts Werke. Geometrische Figuren aus fragilen Seidenpapieren eröffnen architektonische Bildräume auf der Leinwand. Die Schichtungen der halbtransparenten Papiere setzen eine Formensprache fort, deren geradlinige Stabilität im Kontrast zur Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit des Moments steht, den Bartelt festzuhalten versucht. Das schmale Hochformat Zwischen Tür und Angel etwa hält sowohl in seiner an eine Tür erinnernden Form als auch im hinweisenden Titel einen Moment der Ungewissheit fest, den die Künstlerin erlebte, als sie zufällig begann, auf diesem für sie ungewöhnlichen Format zu arbeiten.
Am Ende der Ausstellung kehrt die Abstraktion erneut zum Textilen zurück. Auf einer Fläche von etwa zwei mal einem Meter quellen aus einem karierten Stoffstück unzählige rote Wollfäden hervor. Sie formen einen oval in den Raum ragenden Körper, dem etwas beinahe Performatives, Lebendiges anhaftet. Diese Performativität ist ein wesentlicher Bestandteil von Senzeni Maraselas multimedialer Praxis, in der sie Performance, Fotografie, Video, Druck, Textil- und Strickarbeiten miteinander verwebt und Themen sozialer Ungleichheit sowie Urbanisierungsprozesse ins Materielle übersetzt. Die stets präsente Farbe Rot fungiert dabei als Erinnerungsmarker an die Zeit des sogenannten „Red Dust“, einer südafrikanischen Dürreperiode der frühen 1930er Jahre.
Gemeinsam betonen die in Material Tales: Gestures of Abstraction präsentierten Arbeiten, die Vielfältigkeit abstrakter Bildsprachen. Abstraktion wird zu einem Medium, in dem Materialität, Gestik, Erinnerung und individuelle wie kollektive Erfahrung miteinander verschränkt werden. Ob in Farbe, Papier, Stoff oder Emulsionen, jede Arbeit öffnet einen eigenen Raum der Wahrnehmung, der den Betrachter:innen erlaubt, in Bewegung, Prozess und Intuition einzutauchen. So wird Abstraktion nicht nur sichtbar, sondern auch erfahrbar, als dynamisches, sinnliches und zutiefst menschliches Ausdrucksmittel zeitgenössischer Kunst.
